Das blaue Wunder – Aus dem Leben einer Münchner Tafel-Kiste

Text von Lorena Grabein

Mein Zuhause ist der Fuhrpark der Münchner Tafel auf dem Großmarkt München. Dort mache ich es mir mit meinen vielen Geschwistern gemütlich. Daheim sind wir gut überdacht und damit geschützt vor unangenehmen Regengüssen und Schneefällen. Ich mag es ordentlich – in Reih und Glied sind unsere Betten platziert. Wir können uns so klein machen, dass ganze 160 von uns in ein Bett passen! Natürlich fein säuberlich übereinander liegend. So ist es schön kuschelig.

Angst und Schrecken verbreitete sich unter uns, als einige von meinen Geschwistern auf rätselhafte Weise spurlos verschwunden sind – kein Abschied und kein Wiedersehen. Eine schwere Zeit für uns. Deshalb wird jetzt jeden Tag gezählt, ob auch alle heil zurückgekehrt sind. Am wohlsten fühle ich mich natürlich, wenn alle meine Geschwister und ich beisammen sind, aber viele übernachten auch bei Freunden oder beim Onkel im Lager nebenan.

Der frühe Vogel fängt den Wurm, also mache ich mich schon um 07:30 Uhr auf den Weg. Um die 80 meiner Geschwister werden in jedes Fuhrparkfahrzeug eingeladen. Damit wir die Fahrt gut überstehen, werden wir auch ordentlich mit Stangen gesichert. Dann beginnt unsere Rundreise. Ein bisschen aufgeregt bin ich jeden Tag aufs Neue. Was mich wohl erwartet? Wohin geht es und wen werde ich sehen? Und noch viel wichtiger: Welche Waren darf ich heute transportieren?

Als mein Fahrer die Türen des Transporters öffnet, blendet mich das helle Licht aus dem Lager eines Supermarktes. Jetzt heißt es: Ärmel hochkrempeln und ran an die Arbeit. Ein Berg aus Kartons und Holzkisten gefüllt mit Gemüse und Obst wartet schon darauf, sortiert und mitgenommen zu werden. Aber Achtung – nur die abgeschriebenen Sachen mitnehmen! Zehn Gurken und dutzende Paprikas landen in mir. Die matschigen Paprikas wurden zum Glück vorher aussortiert, aber schmierig werde ich trotzdem. Ich bin da hart im Nehmen, ist ja schließlich alles abwaschbar.

Heute halten wir an elf Supermarkt-Rampen. Der Wagen ist ganz schön voll, ich sitze ganz hinten im Laderaum und warte geduldig darauf, ausgeladen zu werden. Aus allen Richtungen kommen mir Gerüche entgegen, neben mir der starke Duft von Orangen, weiter vorn riecht es nach Lauch, über mir begegnet mir der Duft von Blumen. Nachdem am Lager noch einiges an Obst und Gemüse dazu geladen wurde, geht es zur Ausgabe.

Hier werden wir erst nach unserem Inhalt sortiert und dann nach und nach geleert. Dabei gibt es immer viel zu sehen und zu hören, also wird es nie langweilig. Bei meiner heutigen Ausgabestelle war ich schon öfters und kenne mich gut aus. Da die ehrenamtlichen Helfer an unseren Ausgabestellen immer mal wieder einen neuen Platz einnehmen – mal verteilen sie Obst, mal Gemüse oder auch Brot – lerne ich jedes Mal jemand Neues kennen. So bleiben wir alle flexibel und offen für Neues. Die letzte Paprika wird mir entnommen und dann heißt es Warten für mich – bis alle Gäste versorgt, der Platz geräumt und wir wieder im Transporter verstaut sind.  

Auf der Rückfahrt merke ich erst, wie sehr meine Geschwister und ich doch ins Schwitzen gekommen sind, deshalb freue ich mich schon auf die heiße und entspannende Dusche Zuhause. Danach heißt es ab ins Bett! 

Ich beobachte noch eine Weil das rege Treiben am Fuhrpark, die Fahrzeuge, die mit meinen Geschwistern zurückkehren und die Menschen, die fleißig aufräumen, sich über ihren Tag austauschen, zusammen lachen und sich gegenseitig helfen.

Erst als die Letzten gehen, unsere Zimmertür geschlossen wird, das schützende Nachtlicht angeht und alle Geschichten des Tages unter meinen Geschwistern erzählt wurden, komme ich zur Ruhe. Ich bin erschöpft, aber zufrieden. Wir haben heute viel bewegt und ich freue mich, jeden Tag aufs Neue helfen zu können und Teil dieser wunderbaren Familie zu sein. Mit diesen wohligen Gedanken gleite ich in einen sanften Schlaf hinüber.