1994 - 2024

Gemeinsam Großes bewegen

Die Idee zur Münchner Tafel kam der Gründerin Hannelore Kiethe, als sie auf einen Bericht über eine Lebensmittelrettungsbewegung in New York stieß. City Harvest, eine Gruppe engagierter New Yorker, rettete einwandfreie Lebensmittel, die sonst weggeworfen worden wären, und verteilte sie kostenlos an hungernde Menschen. Inspiriert von dieser Initiative beschloss Hannelore Kiethe, ein ähnliches Projekt in München zu starten. Das war 1994, zu einer Zeit, als Armut in München ein tabuisiertes Thema war. Die Stadt galt als schön und wohlhabend, auch wenn es laut Armutsbericht bereits damals über 100.000 Bedürftige gab.

Entsprechend schwierig waren die Anfänge der Münchner Tafel. Als Hannelore Kiethe mit einigen Freundinnen begann, Lebensmittel vor der Entsorgung zu retten und an Bedürftige zu verteilen, waren die Frauen weitgehend auf sich gestellt. Die Politik zeigte wenig Interesse, in der Öffentlichkeit wurden sie kaum wahrgenommen. Den Transport der Lebensmittel organisierten sie mit Privatautos. Trotz dieser Herausforderungen blieb die Tafelgründerin hoch motiviert und entschied sich bewusst gegen eine Anbindung an eine größere Institution.

Schritt für Schritt zum Erfolg

Zwar war es nicht einfach, ein solches Projekt mit nur wenigen Wegbegleitern auf die Beine zu stellen. Doch es hat sich gezeigt, dass unabhängig zu bleiben der richtige Weg war. So ließ sich flexibel agieren, Dinge konnten schnell entwickelt und umgesetzt werden. Am Anfang war vor allem Improvisationstalent gefragt. Wie kommt man an die Lebensmittel? Wie findet man die Menschen in Not? Über den damaligen Leiter der Großmarkthalle entstanden Kontakte zu Händlern, die ihre nicht verkauften Waren an die Münchner Tafel abgaben. Das Sozialreferat nannte Einrichtungen, an die die Lebensmittel geliefert werden konnten.

Schnell wurde klar: Das reicht nicht, man muss an die versteckte Armut ran, direkt zu den Bedürftigen. Hannelore Kiethe nahm Kontakt zu Walter Lorenz auf, der mit seinem Bus „Möwe Jonathan“ jede Nacht durch München fuhr und Obdachlose versorgte. Von ihm bekam sie den Tipp, sich an die Pfarrgemeinde Mariä Sieben Schmerzen im Hasenbergl zu wenden. Der zuständige Pfarrer willigte ein, dass die Münchner Tafel einmal in der Woche auf dem Kirchplatz Lebensmittel an Bedürftige verteilen durfte.

Als Hannelore Kiethe mit nur einer Helferin im tiefsten Schnee mit ihrem Transporter auf dem Kirchplatz vorfuhr, waren die Menschen zunächst zögerlich. Sie konnten sich nicht vorstellen, einfach so etwas umsonst zu bekommen. Schon nach kurzer Zeit fassten sie dann Vertrauen, und von da an ging alles sehr schnell. Eine Ausgabestelle folgte der nächsten. Die Presse wurde auf die Aktivitäten aufmerksam, und Tafeln in ganz Deutschland orientierten sich am Münchner Modell. Die Caritas unterstützte mit Helfern, die Anfragen häuften sich.

Bekannte Persönlichkeiten und engagierte Mitarbeiter fördern die Münchner Tafel

Was einst als kleines Projekt begann, entwickelte sich rasch zu einer Bewegung, die das Leben vieler Menschen verändert hat. Dank der Unterstützung von engagierten ehrenamtlichen Helfern, großzügigen Förderern und treuen Freunden konnte die Münchner Tafel immer mehr Menschen erreichen und ihnen Hoffnung und Hilfe schenken. Namhafte Förderer und Schirmherren gaben dem Projekt ein Gesicht und sorgten für mehr Sichtbarkeit, sei es die Münchner Politikerin, Fotografin und Autorin Edith von Welser-Ude, die engagierte Sozialarbeiterin Regina von Habsburg oder der Unternehmer Claus Hipp. Claus Hipp ist der Münchner Tafel seit den Anfängen eng verbunden, war zeitweise sogar ihr Schirmherr und steht ihr noch heute eng zur Seite – eine große Ehre und Anerkennung.

Neben dem persönlichen Engagement ist die Münchner Tafel natürlich auf Spenden angewiesen. Als die ersten 100 D-Mark zusammenkamen, fühlte es sich für alle Beteiligten wie ein Fest an. Dabei sind es nicht nur die finanziell gut gestellten Menschen, die die Tafel unterstützen. Besonders bewegend war die Aktion „Kauf eins mehr“ in Zusammenarbeit mit den Johannitern, bei der vor allem Menschen spendeten, die selbst Hunger und Armut erlebt haben. Jede Spende, ob groß oder klein, trägt dazu bei, die Arbeit fortzusetzen.

Ein wesentlicher Eckpfeiler für das Funktionieren der Münchner Tafel sind die fast 1.000 Mitarbeiter, von denen die meisten ehrenamtlich tätig sind. An 365 Tagen im Jahr sind sie bei Wind und Wetter im Einsatz, um Bedürftige zu versorgen. Sie repräsentieren einen Querschnitt unserer Gesellschaft – vom Topmanager über den emeritierten Professor bis hin zu Menschen, die selbst nicht viel besitzen. Das Besondere: Alle engagieren sich gemeinsam und arbeiten Hand in Hand wie die Zahnräder eines gut geölten Getriebes. Auf den Touren sitzt man oft stundenlang zusammen im Auto. Das ist viel Zeit, um sich auszutauschen, voneinander zu lernen und enge Verbindungen zu knüpfen. Diese gemeinsamen Erlebnisse und das Zusammengehörigkeitsgefühl machen die Arbeit nicht nur effizient, sondern auch bereichernd.

Hochprofessionell organisiert und digitalisiert

Der Betrieb einer Tafel ist ein enormer logistischer Aufwand. Es gibt viele strenge Auflagen für solche Initiativen. Man unterliegt der Lebensmittelüberwachung, es wird streng kontrolliert, ob zum Beispiel die Kühlkette eingehalten wird, auch die Rückverfolgbarkeit der Lebensmittel muss gewährleistet sein. Jede Ausgabestelle hat eine Nummer, jede Obst- und Gemüsekiste muss registriert werden. Das alles auf die Beine zu stellen, war damals eine große Herausforderung. Zunächst wurden vereinfachte Formen entwickelt, um den Anforderungen gerecht zu werden.

Heute ist die Münchner Tafel wie ein Unternehmen organisiert und hochgradig digitalisiert. Regelmäßig werden Vertreter der Wirtschaft zu Führungen durch die Zentrale, das Lager, die Tourenplanung und die Personalabteilung eingeladen. Und regelmäßig sind diese Besucher beeindruckt von der hohen Professionalität. Dies ist in großen Teilen dem ehrenamtlichen Engagement zu verdanken, kann aber nicht alles abdecken. So wurden in der schlanken Verwaltung nach und nach verschiedene Stabsstellen eingerichtet. Diese wurden einerseits mit ehemaligen Ehrenamtlichen besetzt, andererseits mit Menschen, die Schwierigkeiten haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Dass die Finanzierung vom Bund gefördert wird, ist für die Münchner Tafel nur ein Nebenaspekt. Man möchte vor allem jungen Menschen in schwierigen Lebenssituationen einen Nährboden bieten, auf dem sie sich entwickeln können. So beschäftigt man auch Teilnehmer des Bundesfreiwilligendienstes, sogar aus Indien.

Respekt zeigen und Würde wahren – Werte im Umgang mit den Tafelgästen

Dass die Menschen, die zur Münchner Tafel kommen, Gäste und nicht Kunden genannt werden, ist kein Zufall. Man möchte die Würde der Menschen, die zu den Ausgabestellen kommen, wahren und ihnen nicht das Gefühl geben, dass sie hier nur das bekommen, was andere nicht mehr haben wollen. An allen Ausgabestellen werden qualitativ hochwertige Waren verteilt – Obst, Gemüse, Brot, Käse, Wurst, Fleisch. Man fühlt sich wie auf einem Markt. Waren, die kurz vor dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen, werden separat ausgelegt, so dass die Gäste die Wahl haben.

Für viele bedürftige Menschen ist die Münchner Tafel nicht nur eine Anlaufstelle für Lebensmittel. Hier finden sie Respekt, Toleranz, Verständnis und Menschen, die ihnen zuhören. Die ein offenes Ohr haben für ihre Geschichte und ihre persönlichen Schicksale. Schicksale, die vielleicht leichter zu bewältigen sind, wenn man nicht allein ist. Und das ist man bei der Münchner Tafel nicht, denn unser Anspruch ist:

Gemeinsam Großes bewegen.

30 Jahre Münchner Tafel

Seit ihrer Gründung im Jahre 1994 hat sich die Münchner Tafel zu einer unverzichtbaren Institution in München entwickelt. Diese Chronik beleuchtet die wichtigsten Meilensteine und Entwicklungen “unserer” Tafel, mit dem Ziel   “Lebensmittel verteilen -statt vernichten“ und diese an bedürftige Menschen weiterzugeben.